Persönlichkeit
February 13, 2025

Warum wir an den Falschen festhalten – und wie wir uns endlich befreien

Relievr
Blog
Eine schwarze Feder schwebt über einer ausgestreckten Hand vor einem klaren Bergsee – symbolisch für Loslassen und Freiheit.
Text zuletzt aktualisiert am
26.2.2025
Geschätzte Lesezeit: ca.
7
min.

Es gibt einen Moment in jeder Weiterentwicklung, in dem uns etwas klar wird: Wenn ich wirklich gesund werden will, dann muss ich loslassen. Loslassen von Menschen, die mir nicht guttun. Loslassen von Gewohnheiten, die mich klein halten. Loslassen von Dingen, die mich betäuben. Klingt logisch, oder? Und doch ist genau das der schwierigste Schritt.

Warum? Weil wir nicht loslassen können, ohne das zu verstehen, was uns überhaupt in diese Situation gebracht hat. Und genau da kommt die unsichtbare Macht früher Bindungen ins Spiel. Komplexe Traumata führen dazu, dass wir Verbindungen eingehen – nicht, weil sie gut für uns sind, sondern weil sie überhaupt da sind.

Der tiefste menschliche Antrieb: Verbindung

Ein Kind wird mit einem starken Überlebensinstinkt geboren. Es kann sich nicht selbst ernähren, es kann sich nicht selbst beschützen – es braucht Bindung. Ohne diese Bindung ist es verloren. Also tut es alles, um sich zu verbinden. Aber was, wenn die Eltern nicht verfügbar sind? Was, wenn sie selbst mit ihrem Leben kämpfen, emotional abwesend sind oder die Bedürfnisse des Kindes nicht erkennen?

Das Kind hat keine Wahl: Es muss sich trotzdem anpassen. Und wenn Authentizität nicht funktioniert, dann eben Anpassung. Es lernt, sich so zu verhalten, dass es wahrgenommen wird – selbst wenn es bedeutet, sich selbst zu verlieren.

Die zwei Wege der Anpassung

Kinder, die keine gesunde Bindung bekommen, entwickeln Überlebensstrategien. Die eine ist das „People Pleasing“: Sie lernen, perfekt zu funktionieren, sich in andere hineinzuversetzen, Erwartungen zu erfüllen, immer freundlich und hilfsbereit zu sein. Sie glauben: „Wenn ich mich nur genug anstrenge, werde ich endlich geliebt.“

Die andere Strategie ist Rebellion. Sie tun das genaue Gegenteil: Sie verhalten sich herausfordernd, aggressiv oder destruktiv – alles nur, um endlich wahrgenommen zu werden. Aufmerksamkeit, auch negative, ist besser als gar keine.

Aber was passiert, wenn auch das nicht funktioniert? Wenn sich der ersehnte Kontakt trotzdem nicht einstellt? Dann sucht das Kind neue Wege.

Ersatzbefriedigung: Wenn Dinge Gefühle ersetzen

Wenn Menschen uns nicht die Verbindung geben, die wir brauchen, dann suchen wir sie woanders. Erst sind es harmlose Dinge: ein Kuscheltier, ein Lieblingsspielzeug, eine Serie, die uns tröstet. Doch mit der Zeit werden daraus komplexere Muster: Konsum, Arbeitssucht, toxische Beziehungen, extreme Sportarten, Essen, Alkohol, Sex – alles, was kurzfristig die Leere füllt.

Es fühlt sich echt an. Es fühlt sich nach Verbindung an. Aber es ist keine echte Verbindung – es ist nur ein Ersatz. Und das Problem mit Ersatzbefriedigung ist: Sie stillt nie den echten Hunger. Sie ist wie Salzwasser für einen Verdurstenden.

Der Preis falscher Bindungen

Das größte Problem an diesen ungesunden Verbindungen ist, dass sie uns in einer Schleife gefangen halten. Sie geben uns gerade genug, um weiterzumachen, aber nie genug, um wirklich erfüllt zu sein. Und weil sie sich „normal“ anfühlen, erkennen wir nicht, dass sie uns eigentlich schaden.

Dazu kommt: Viele dieser Bindungen sind nicht nur an Dinge oder Aktivitäten geknüpft, sondern an tief verwurzelte Glaubenssätze. Die Überzeugung, dass wir uns Liebe erst verdienen müssen. Dass wir nicht wichtig genug sind. Dass Nähe gefährlich ist. Dass niemand uns wirklich sehen will.

Und wenn diese Überzeugungen die Grundlage unserer Beziehungen sind, dann ziehen wir genau die Menschen an, die sie bestätigen. Menschen, die uns klein halten, die uns ausnutzen, die uns das Gefühl geben, dass wir ohne sie nichts wert sind. Wir nennen es „Liebe“. In Wirklichkeit ist es eine ungesunde Reinszenierung unserer Vergangenheit.

Wie du den Kreislauf durchbrichst

Weiterentwicklung bedeutet, diese Muster zu entlarven. Zu erkennen, dass das, was sich vertraut anfühlt, nicht unbedingt gut ist. Dass Menschen, die uns verletzen, keine Menschen sind, an die wir uns klammern sollten. Dass wir unsere Bedürfnisse nicht länger an die falschen Stellen tragen.

Es bedeutet, bewusst zu wählen: Welche Bindungen unterstützen mich langfristig? Welche Aktivitäten tragen zu einem stabilen Alltag bei – und welche bieten nur kurzfristige Ablenkung von ernsten Problemen? Es geht nicht darum, alles aufzugeben, sondern darum, Grenzen zu setzen. Zu unterscheiden, wo noch Wachstum möglich ist – und wo es nur Probleme gibt.

Und dann kommt der schwerste Schritt: Das Unbekannte aushalten. Die Lücke spüren, die entsteht, wenn man das Falsche loslässt, bevor das Richtige da ist. Das ist der Moment, in dem viele zurückfallen. Weil es einfacher ist, zum Gewohnten zurückzukehren, als mit dem Ungewissen zu leben.

Aber genau in dieser Leere liegt die Chance auf echte Veränderung. Denn wenn du den Mut hast, sie auszuhalten, dann kann sich endlich das entwickeln, was du dein Leben lang gesucht hast: eine stabile, authentische Verbindung – zuerst zu dir selbst, und dann zu anderen.

Dein nächster Schritt

Vielleicht spürst du gerade Widerstand. Vielleicht denkst du: „Aber ich kann doch nicht einfach loslassen!“ Doch genau hier liegt die Wahrheit: Du kannst. Und du wirst. Schritt für Schritt. Indem du hinterfragst, was wirklich förderlich für dich ist. Indem du dich von den Menschen entfernst, die dich klein halten. Indem du erkennst, dass du nicht mehr das Kind von damals bist, das um Aufmerksamkeit kämpfen muss.

Du bist erwachsen. Du darfst wählen. Und du kannst loslassen. Und ja, es wird wehtun – aber es wird sich lohnen.