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February 20, 2025

Dicker Fisch im kleinen Tümpel? - Was der Big-Fish-Little-Pond-Effekt über unser Selbstbild verrät

Relievr
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Goldfisch in einer beleuchteten Glühbirne als Symbol für den Big-Fish-Little-Pond-Effekt in der Psychologie.
Text zuletzt aktualisiert am
26.2.2025
Geschätzte Lesezeit: ca.
6
min.

Stell dir vor, du bist der Star in deinem kleinen Universum: Deine Ideen werden gefeiert, deine Leistungen bewundert, und du fühlst dich sicher in dem, was du tust. Du bist der große Fisch in deinem Teich – und das fühlt sich gut an. Doch dann passiert etwas: Du wechselst die Szenerie, trittst in eine neue Umgebung ein, und plötzlich merkst du, dass du nicht mehr der oder die Größte bist. Die anderen Fische sind schneller, klüger, talentierter. Das vertraute Hochgefühl schwindet, und das Selbstbild beginnt zu wackeln. Was hier passiert, ist ein psychologisches Phänomen, das als Big-Fish-Little-Pond-Effekt bekannt ist – und es erklärt, warum wir uns in neuen Umgebungen oft klein und unsicher fühlen, selbst wenn wir eigentlich gut sind.

Dieses Phänomen kann unser Leben lang prägen: Viele Menschen bleiben ihr Leben lang in vertrauten, aber stagnierenden Umfeldern, nur weil sie Angst haben, in einem größeren Teich nicht mehr mithalten zu können. Sie verharren in einem vergammelten Tümpel, obwohl sie längst in einem größeren, lebendigeren Becken schwimmen könnten.

Was ist der Big-Fish-Little-Pond-Effekt?

Der Effekt wurde erstmals in den 1980er Jahren von dem Psychologen Herbert Marsh beschrieben, der untersuchte, wie Schülerinnen und Schüler ihr akademisches Selbstbild entwickeln. Ein bekanntes Beispiel für diesen Effekt ist das Phänomen, das oft an prestigeträchtigen Institutionen wie Elite Unis beobachtet wird: Studierende, die in ihrer Heimatstadt oder an ihrer früheren Schule zu den Besten gehörten, fühlen sich plötzlich überfordert und minderwertig, weil sie von anderen umgeben sind, die genauso talentiert oder sogar noch besser sind. Obwohl sie objektiv hochqualifiziert sind, schwindet ihr Selbstbewusstsein, sobald sie in diesem größeren, anspruchsvolleren „Teich“ schwimmen.

Warum vergleichen wir uns – und warum tut es uns manchmal nicht gut?

Der Big-Fish-Little-Pond-Effekt basiert auf einem grundlegenden menschlichen Mechanismus: dem sozialen Vergleich. Wir Menschen sind darauf programmiert, uns an anderen zu messen. In einem kleinen Teich, wo wir herausragen, bekommen wir ständig Bestätigung: „Du bist gut!“, „Du bist der Beste!“ Diese Rückmeldungen werden zu unserem Kompass, der unser Selbstbild prägt.

Doch sobald wir den Teich wechseln – sei es durch einen Umzug in eine größere Stadt, einen Jobwechsel in ein ambitionierteres Team oder den Sprung von einer Durchschnittsschule an eine Elite-Uni –, gelten plötzlich neue Maßstäbe. Die anderen Fische sind größer, schneller, stärker. Und obwohl unsere Fähigkeiten dieselben geblieben sind, fühlen wir uns plötzlich klein und unbedeutend.

Das Problem? Unser Gehirn liebt einfache Erklärungen. Statt zu erkennen, dass wir uns nur in einem neuen Bezugsrahmen befinden, neigen wir zu dem Schluss: „Wenn ich hier nicht mehr auffalle, bin ich wohl gar nicht so gut.“ Diese Selbstzweifel können so stark werden, dass sie uns lähmen – und dazu führen, dass wir uns lieber in vertrauten, aber begrenzten Umfeldern aufhalten, anstatt uns neuen Herausforderungen zu stellen.

Wie der Effekt im Alltag wirkt: Vom Dorfstar zum Großstadt-Niemand

Stell dir einen jungen Musiker vor, der in seinem Heimatdorf als Wunderkind gefeiert wird. Jeder Auftritt ist ein Triumph, die Bewunderung ist grenzenlos. Doch dann zieht er in die Großstadt und bewirbt sich an einer renommierten Musikhochschule. Plötzlich ist er nur noch einer von vielen Talenten – und einige seiner Mitstudierenden haben sogar mehr Bühnenerfahrung und technisches Können. Was passiert? Seine Selbstsicherheit schwindet, und er beginnt, an seinen Fähigkeiten zu zweifeln. Vielleicht gibt er sogar auf, weil er den Druck nicht aushält.

Oder denk an eine Führungskraft, die in einem kleinen Unternehmen als unverzichtbar gilt. Ihre Ideen werden umgesetzt, ihre Entscheidungen respektiert. Doch als sie in ein globales Unternehmen wechselt, merkt sie plötzlich, dass sie nur ein kleines Rädchen im Getriebe ist. Die Kollegen haben Top-Referenzen, die Konkurrenz ist hart, und sie fühlt sich unsichtbar. Das Ergebnis? Sie zweifelt an ihrer Kompetenz und sehnt sich zurück in ihr altes, vertrautes Umfeld.

Warum wir im Tümpel bleiben: Die Angst vor dem großen Teich

Der Big-Fish-Little-Pond-Effekt erklärt auch, warum viele Menschen ihr Leben lang in vertrauten, aber begrenzten Umfeldern verharren – selbst wenn diese längst nicht mehr das beste „Habitat“ für sie sind. Die Angst, in einem größeren Teich nicht mehr mithalten zu können, ist oft stärker als der Wunsch nach Wachstum. Wer einmal erlebt hat, wie es sich anfühlt, vom großen Fisch zum kleinen Fisch zu schrumpfen, zögert oft, sich erneut in unbekannte Gewässer zu wagen.

Diese Angst kann so stark sein, dass sie uns davon abhält, unser Potenzial voll auszuschöpfen. Wir bleiben in einem vergammelten Tümpel, obwohl wir längst in ein größeres, lebendigeres Becken schwimmen könnten. Doch warum tun wir das? Weil unser Selbstwertgefühl oft stärker von der relativen Größe im Teich abhängt als von unseren tatsächlichen Fähigkeiten.

Unser Wert hängt zudem nicht davon ab, ob wir der größte Fisch im Teich sind. Stattdessen können wir lernen, unsere Fähigkeiten unabhängig von unserem Umfeld zu sehen – und uns bewusst zu machen, dass wir auch in einem größeren Becken unseren Platz haben. Doch dazu müssen wir erst einmal verstehen, wie dieser Effekt funktioniert – und warum er uns manchmal im Weg steht. Denn nur wer das Phänomen durchschaut, kann sich davon befreien.