Beruf & Karriere
February 28, 2025

Die große Täuschung der Vorstellungsgespräche

Relievr
Blog
Elegante Frau in Schwarz hält ein iPad und macht ein Spiegel-Selfie – minimalistisch, modern und stilvoll.
Text zuletzt aktualisiert am
28.2.2025
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Vorstellungsgespräche sind eine der seltsamsten Rituale in der Arbeitswelt. Sie entscheiden über Karrieren, Chancen und Existenzen – und sind dabei ein miserabler Prädiktor für tatsächliche Leistung. Studien zeigen, dass die meisten Entscheidungen bereits in den ersten acht Minuten getroffen werden.

Stell dir vor, du betrittst einen Raum. In den nächsten vielleicht 30 bis 60 Minuten entscheidet sich, ob du diesen Raum mit einer neuen Karriere verlässt – oder mit einer höflichen Absage. Du sitzt in einem nüchternen Büroraum, auf der anderen Seite des Tisches vielleicht drei Leute, vielleicht nur einer. Du hast deinen Lebenslauf perfektioniert, deine Antworten geübt, dich vorbereitet. Und doch entscheidet sich dein Schicksal nicht an deinen Qualifikationen. Nicht an deiner Erfahrung. Sondern in den ersten Minuten – oft sogar in den ersten Sekunden.

Das ist kein Mythos, sondern gut belegte Realität. Personaler und Führungskräfte glauben, rationale Entscheidungen zu treffen. In Wirklichkeit läuft es anders: Der erste Eindruck fällt, und das restliche Gespräch dient in den meisten Fällen nur noch der Bestätigung dieser Einschätzung. Sympathie schlägt Kompetenz. Bauchgefühl schlägt Fachwissen.

Was hier passiert, ist kein strukturiertes Auswahlverfahren, sondern Psychologie in ihrer rohen Form. Die Frage, die unbewusst gestellt wird, lautet nicht: „Ist diese Person fachlich geeignet?“ Sondern: „Passt diese Person zu uns?“ Und das ist gefährlich.

Menschen halten Vorstellungsgespräche für eine Art Prüfung. Sie glauben, dass es darum geht, sich zu beweisen. Doch das ist die große Täuschung. In Wahrheit ist ein Vorstellungsgespräch nichts anderes als ein sozialer Scan. Und dieser Scan funktioniert nach simplen, oft primitiven Mechanismen: Erkenne ich mich in dir wieder? Verstehe ich dich? Fühlt es sich gut an, mit dir zu sprechen?

Es geht also nicht darum, ob du die beste Wahl für den Job bist – sondern ob du in diesen wenigen Minuten als jemand erscheinst, mit dem man gerne zusammenarbeitet. Das erklärt, warum sich so viele Unternehmen später wundern, wenn die neue Führungskraft menschlich nicht ins Team passt oder der „perfekte Kandidat“ in der Praxis versagt. Sie haben nie wirklich nach Leistung gesucht. Sie haben nach einem Gefühl gesucht.

Und was heißt das für dich?

Dass du kein Schauspiel aufführen solltest, um Erwartungen zu erfüllen. Dass du dir kein Skript auswendig lernen musst, das dann doch ins Leere läuft. Dass du nicht das perfekte Lächeln aufsetzen solltest, um am Ende in einer Firma zu landen, die nicht zu dir passt.

Viel wichtiger ist eine andere Frage: Fühlt sich das hier für dich richtig an?

Denn auch du triffst unbewusste Entscheidungen. Auch du spürst in den ersten Minuten, ob du mit diesen Menschen zusammenarbeiten möchtest. Auch du spürst, ob dich dieser Raum einlädt oder ob du nur versuchst, hineinzupassen.

Wer Vorstellungsgespräche als einseitige Prüfung sieht, verliert. Wer sie als gegenseitiges Abtasten begreift, erkennt die Wahrheit: Manchmal scheitert man nicht, weil man nicht gut genug ist – sondern weil es nicht der richtige Ort ist. Und das ist ein Gewinn.