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Alle hier geteilten Klient:innengeschichten basieren auf realen Ereignissen und wurden mit Zustimmung der betroffenen Personen veröffentlicht. Sämtliche persönlichen Informationen und Namen wurden derart modifiziert, dass keine Rückschlüsse auf die individuellen Personen möglich sind. Zudem bleiben die identitäten unserer schreibenden Psychologinnen und Psychologen anonym, um eine unvoreingenommene Wahl Ihrer Beratungsperson zu gewährleisten.
Timo, 28 Jahre alt, kam zu mir mit einer Frage, die ihn beschäftigte: Warum fühlte er sich ohne eine Beziehung so unvollständig? Ich hörte den Kummer in seiner Stimme, als er mir von seiner kürzlichen Trennung erzählte. Sophie, seine Freundin, hatte ihn verlassen. Und obwohl er irgendwie wusste, dass ihre Beziehung kein langfristiges Potenzial hatte, war er dennoch erschüttert über ihr plötzliches Fehlen.
Während unseres Gesprächs wurde klar, dass Timo Schwierigkeiten hatte, alleine zu sein. Er sehnte sich ständig nach einer Beziehung, um das Gefühl der Einsamkeit zu vermeiden. Es war, als ob er seine eigene Identität nur durch die Präsenz anderer definieren konnte.
„Seit ich mich erinnern kann, war ich immer in einer Beziehung. Wenn eine endete, war ich sofort auf der Suche nach der nächsten“, erzählte er mir. Sein Bedürfnis, ständig in einer Beziehung zu sein, schien eine tiefere Ursache zu haben. Er beschrieb, wie er sich in jeder Beziehung verlor und sich stets an die Bedürfnisse und Wünsche seiner Partnerinnen anpasste. Diese neueste Trennung war mehr als nur ein weiterer Abschied; es war, als hätte er einen Teil seiner Identität verloren.
In unseren Sitzungen mit Timo kristallisierten sich zahlreiche Erkenntnisse über sein tief verwurzeltes Problem der Beziehungssucht heraus. Es wurde offensichtlich, dass Timos ständiges Bedürfnis nach einer Beziehung weniger mit echter Zuneigung zu seinen Partnerinnen zu tun hatte. Vielmehr mit dem Versuch, ein inneres Leeregefühl zu füllen. Er gestand in einem unserer Gespräche: „Ich fühle mich nur vollständig, wenn ich in einer Beziehung bin. Ohne jemanden an meiner Seite fühle ich mich wie ein verlorenes Puzzlestück.“ Diese Offenbarung war ein Wendepunkt, da sie die Kernproblematik seiner Situation beleuchtete. Timo hatte nie gelernt, alleine zu sein. Er kannte seinen wahren Wert nicht unabhängig von einer Beziehung. Er beschrieb, wie jede Trennung ihn nicht nur von einer Partnerin, sondern von einem Teil seiner selbst trennte. „Es ist, als ob ich bei jeder Trennung nicht nur die Person verliere, sondern auch ein Stück von mir“, erklärte er.
Auf die Frage, woher er dieses Gefühl aus seiner Vergangenheit kennen könnte, dachte Timo lange nach. Denn das, was Klient:innen im Hier und Jetzt erleben ist oft etwas, das sie schon einmal ähnlich in ihrem Leben erfahren haben und es sich heute immer wieder zeigt. Dann meinte Timo: „Von meiner Mutter. Sie ist früher, als ich klein war, häufig alleine einkaufen gefahren und hat mich dann für die Zeit alleine zuhause gelassen." Auf die Frage, wie alt er damals gewesen sei, antwortete er: "Ich weiß es nicht genau, 4-5 Jahre."
Ich verstand. Solche frühen Bindungserfahrungen können signifikante Auswirkungen auf das spätere Erwachsenenleben haben. Für ein Kind in diesem Alter kann das Alleingelassenwerden durch eine primäre Bezugsperson, wie die Mutter, zu intensiven Gefühlen der Verlassenheit und Unsicherheit führen. Kleinkinder können sich noch nicht vollständig emotional selbstregulieren. Sie brauchen zum Beginn ihres Lebens eine zuverlässige Coregulation durch Bezugspersonen, um sich dann später im Erachsenenalter zuverlässig selbst regulieren zu können. Diese frühen Erfahrungen formen oft unbewusst das Verständnis des Kindes von Nähe, Sicherheit und Bindung. In Timos Fall scheint diese frühe Erfahrung des Alleingelassenseins eine tiefe Angst vor Einsamkeit und Verlassenheit mitbegründet zu haben. Diese spiegelt sich in seinem ständigen Bedürfnis nach einer Beziehung im Erwachsenenalter wider. Seine Beziehungssucht könnte daher eine unbewusste Strategie sein, um das als Kind erlebte wiederkehrende Gefühl der Verlassenheit zu vermeiden. Indem er ständig in Beziehungen bleibt, versucht er unbewusst, die Erfahrung des Verlassenwerdens zu kompensieren. Gleichzeitig versucht er das Gefühl der Sicherheit und Zugehörigkeit zu bewahren, das er in seiner Kindheit vermisst hat. Nur um dann schlussendlich doch wieder verlassen zu werden und so die Ursprungserfahrung komplett zu machen. Inklusive aller Gefühle und Unwohlseinszustände von damals.
Unser Gespräch nahm eine tiefere Wendung, als ich Timo fragte, ob er glaubte, dass diese Erfahrung etwas mit ihm gemacht habe. Er hielt inne, überlegte und sagte dann: "Jetzt, wo ich darüber nachdenke, merke ich, dass es das gleiche Gefühl ist wie heute." Tränen stiegen in seinen Augen auf. "Ich hätte nie gedacht, dass das etwas mit heute zu tun haben könnte. Das ist ja schon über 20 Jahre her."
Dieser Moment in der Beratung ist typisch, da Klient:innen oft die Verknüpfung zwischen ihren früheren Erfahrungen und ihren aktuellen Problemen nicht mehr sehen können. Die ursprüngliche Erfahrung ist so weit aus ihrem eigenen Erlebensraum verbannt, dass sie wie ein entferntes, irrelevantes Ereignis erscheint. Das Problem dabei ist, dass in der Psyche in gewisser Weise keine Zeit existiert. Im Unbewussten geschieht alles gleichzeitig. Wir als Personen werden zwar älter, aber unser Unbewusstes gleicht unsere aktuelle Erfahrung ständig aufgrund früherer, biografischer Erlebnisse ab.
Wenn unser Gehirn im Heute, wie in Timos Fall, zu der Einschätzung kommt: "Ich bin alleine", dann sucht es sich einen Vergleichswert und wird fündig in früheren biografischen Erfahrungen. Hier beispielsweise die Mutter, die einkaufen fährt. In diesem Moment fühlt sich Timo wieder wie vier oder fünf Jahre alt. Diese Erkenntnis ist für viele Klient:innen ein Wendepunkt. Sie beginnen zu verstehen, wie tief verwurzelt und einflussreich ihre frühen Lebenserfahrungen sind. Sie erkennen, dass ihre aktuellen emotionalen Reaktionen und Verhaltensmuster häufig Wiederholungen oder Echos dieser frühen Erfahrungen sind. Für Timo war dieser Moment ein entscheidender Schritt auf dem Weg zur Heilung. Zum Verständnis der Wurzeln seines Bedürfnisses nach ständiger Beziehung und der damit verbundenen Angst vor dem Alleinsein.
Aus dieser tiefgreifenden Erkenntnis zogen wir wichtige Konsequenzen für Timos weiteren Beratungsverlauf. Zunächst lag der Fokus darauf, Timo dabei zu unterstützen, sich mit seinen frühen Erfahrungen des Alleinseins auseinanderzusetzen und die damit verbundenen Gefühle zu verarbeiten. Wir arbeiteten daran, sein Bewusstsein dafür zu schärfen, dass seine gegenwärtigen Beziehungsmuster tatsächlich eine Reaktion auf diese verdrängten Kindheitserfahrungen waren. Dieser Prozess beinhaltete emotionale Arbeit, um Timo zu helfen, die Traurigkeit, Angst und Unsicherheit, die er als Kind empfunden hatte, zu erkennen und zu akzeptieren.
Parallel dazu begannen wir mit Übungen zur Selbstreflexion und Selbstakzeptanz, um Timos Selbstwertgefühl unabhängig von äußeren Beziehungen zu stärken. Er lernte, sich selbst als vollständige Person zu sehen, auch wenn er allein war. Die Erkenntnisse der ersten Sitzung und der darauf aufbauende Beratungsansatz ermöglichten es Timo schließlich, seine tief sitzende Angst vor dem Alleinsein zu überwinden. Er begann, Zeiten des Alleinseins nicht mehr als bedrohlich, sondern als Gelegenheit für persönliches Wachstum und Selbstentdeckung zu betrachten. Diese Veränderung in seinem Verständnis und Umgang mit Alleinsein war ein entscheidender Schritt in seiner Entwicklung hin zu einem gesünderen, selbstbestimmteren Lebensstil und emotionaler Unabhängigkeit.
Einen Monat nach dem Abschluss unserer Sitzungen erhielt ich eine Nachricht von Timo. Darin teilte er mir mit, dass es ihm gut gehe und er derzeit überhaupt kein Inetresse an einer Beziehung hätte. Er betonte, dass dies nicht daran liege, dass er keine Lust mehr auf Beziehungen hätte. Sondern vielmehr daran, dass er erst einmal so viel für sich selbst vorhabe. Inspiriert durch unsere Sitzungen und seine neuen Erkenntnisse hatte Timo begonnen, sein Leben mit neuen, persönlichen Zielen zu bereichern. Er erzählte, dass er nach unserer letzten Sitzung ein Klavier gekauft und angefangen hatte, Gesangsstunden zu nehmen. Sein Ziel war es nun, innerhalb eines Jahres mit eigenen Songs auf einer kleinen Bühne zu stehen. Bis dahin sei er voll und ganz mit sich und seinen Plänen beschäftigt. Vielleicht würde ja dann dort die richtige Frau im Publikum sitzen, wenn er das erste Mal auftritt. Und wenn nicht, so sei das auch kein Problem. Er hatte gelernt, dass eine Freundin kein „Must-have“ in seinem Leben ist, sondern eher ein „Add-on“. Eine Bereicherung, aber nicht die Quelle seines Glücks oder Selbstwertgefühls. Timo gelang es, sein bisher größtes Lebensthema nachhaltig zu lösen, und das in nur fünf Sitzungen.