Es ist eigentlich verrückt: Wir wollen immer allen gefallen, rennen ständig hinter den Erwartungen anderer her, nur um am Ende total leer dazustehen. Warum tun wir uns das an? Was steckt dahinter, dass wir häufig unsere eigenen Bedürfnisse beiseiteschieben und stattdessen versuchen, bloß niemanden vor den Kopf zu stoßen? Wenn man da tiefer gräbt, stößt man oft auf ein vertracktes Geflecht aus alten Erfahrungen, kindlichen Ängsten und dem tief verwurzelten Wunsch, irgendwie sicher und geliebt zu sein. Im Grunde geht’s beim sogenannten People Pleasing nicht einfach nur um Höflichkeit oder das Bemühen, ein netter Mensch zu sein. Nein, da schlummert oft eine Geschichte dahinter, die bis in unsere frühesten Beziehungen zurückreicht. Damals, als wir als Kinder verstanden haben – bewusst oder unbewusst –, dass unser Wert davon abhängen könnte, wie sehr wir uns den Vorstellungen anderer anpassen. Vielleicht hatten wir Eltern oder Bezugspersonen, die mit Kritik, Schweigen oder Liebesentzug reagiert haben, wenn wir zu laut, zu wild oder zu eigen waren. In solchen Momenten lernt ein Kind: „Wenn ich brav bin, bekomme ich vielleicht mehr Nähe, mehr Zuneigung, mehr Verständnis.“ Das ist eine ziemlich schlaue Überlebensstrategie für ein kleines Wesen, das voll auf externe Fürsorge angewiesen ist.
Doch dieses Muster packen wir dann irgendwann in unseren psychischen Rucksack und nehmen es mit ins Erwachsenenleben – oft ohne es überhaupt zu checken. Später merken wir dann, dass irgendwas nicht mehr stimmt. Wir hechten durch unsere Tage, sagen zu allem Ja und Amen, versuchen, möglichst perfekt zu funktionieren, halten unsere Meinung zurück, lassen eigene Bedürfnisse links liegen und schämen uns sogar dafür, wenn wir mal anders ticken als unser Umfeld. Unter der Oberfläche brodelt dabei die Angst: Was, wenn wir plötzlich anecken? Was, wenn uns jemand nicht mehr mag, wenn wir nicht liefern oder nicht lieb und anschmiegsam genug sind? Die Angst vor Ablehnung hängt im Hintergrund wie eine dunkle Wolke, und bevor es regnet, tun wir lieber alles, um die Spannung gar nicht erst aufkommen zu lassen.
Das echt Tückische dabei ist, dass dieses People-Pleasing-Programm in uns lange als absolut sinnvoll erscheint. Schließlich wollen wir ja nicht als egoistische Nervensägen gelten oder allein auf weiter Flur stehen. Doch je mehr wir uns verbiegen, desto mehr spüren wir irgendwann, dass sich unter all den Versuchen, anderen zu gefallen, ein tiefer Verlust an Lebendigkeit breitmacht. Wir sind dann wie ein Chamäleon, das seine Farbe ständig ändert, bis es nicht mehr weiß, wie es eigentlich selbst aussieht. Im Kern fehlen uns dann echte, ehrliche Beziehungen. Stattdessen bekommen wir ein braves, angepasstes Miteinander, bei dem wir uns selbst verlieren und unsere wahren Gefühle unter den Teppich kehren. Und je öfter wir das tun, desto stärker verfestigt sich dieses Muster. Wir laufen Gefahr, auf Dauer innerlich auszubrennen oder uns komplett von unserer eigenen Persönlichkeit abzukoppeln.
Christoph verbringt seinen Tag damit, die Erwartungen seiner Kollegen und Freunde zu erfüllen. Morgens holt er für das Team Kaffee, obwohl ihn niemand darum gebeten hat. Mittags sagt er bei einem schwierigen Projekt zu, obwohl er keine Zeit hat. Abends fährt er eine Freundin quer durch die Stadt, obwohl er erschöpft ist. Am Ende des Tages ist Christoph völlig ausgelaugt, sitzt nach all seinen Gefälligkeiten allein auf seiner Couch und fragt sich bitter, warum nie jemand auf die Idee kommt, ihm etwas zurückzugeben oder zu fragen, was er braucht.
Hartmut lebt nach dem Motto „bloß nicht anecken“. In der Frühstückspause lacht er mit, wenn Kollegen Witze auf seine Kosten machen, auch wenn ihn das innerlich trifft. Als sein Chef ihn drängt, eine Arbeit bis Feierabend für einen wichtigen Kunden fertigzustellen, obwohl das eigentlich unrealistisch ist, sagt er trotzdem Ja. Das bedeutet, er arbeitet weit über die Zeit hinaus und muss seiner Frau wieder einmal erklären, dass es später wird – womit der Streit zu Hause vorprogrammiert ist. Selbst beim Stammtisch am nächsten Abend nickt er wie immer zustimmend, obwohl er anderer Meinung ist. Am Ende des Abends geht Hartmut nach Hause und fühlt sich mies und leer.
Mareike versucht, es überall perfekt zu machen. Sie backt aufwendige Kuchen für die Schule ihrer Kinder, organisiert das Sommerfest und übernimmt schließlich auch noch die Aufgabe als Elternvertreterin – obwohl sie sich auf der Fahrt zum Elternabend fest vorgenommen hatte, genau das auf keinen Fall zu tun. Doch als niemand die Hand hebt, hält sie den inneren Druck nicht aus und meldet sich doch. Während sie sich nach Anerkennung sehnt, bemerkt niemand, wie sehr sie sich dabei aufreibt. Abends, wenn sie erschöpft ins Bett fällt, quält sie das Gefühl, immer noch nicht genug getan zu haben, um wirklich gesehen und geschätzt zu werden.
All das sind Facetten von People-Pleasing. Vermeintliche Erwartungen erfüllen, Konflikte vermeiden oder perfekt wirken, in der Hoffnung auf Anerkennung und Akzeptanz. Kennst du solche Verhaltensweisen auch von dir?
Der erste Schritt aus diesem Kreislauf ist, überhaupt zu begreifen, was da abgeht. Zu merken: „Oh, ich bin gar nicht einfach nur nett, weil ich es sein will, sondern weil ich panische Angst davor habe, was passiert, wenn ich es nicht bin.“ Das ist vielleicht schmerzhaft, aber auch befreiend. Wer sich diesen Gefühlen stellt, kann anfangen, alte Glaubenssätze zu hinterfragen. Wir sollten lernen, dass unser Wert nicht davon abhängt, wie viel Verständnis wir heucheln, wie oft wir lächeln, obwohl wir innerlich kochen, oder wie sehr wir uns anpassen, um bloss nicht negativ aufzufallen. Stattdessen können wir nach und nach Raum schaffen für die Erkenntnis, dass wir auch dann geliebt, respektiert und als wertvoll wahrgenommen werden können, wenn wir uns erlauben, unsere eigene Stimme zu erheben und Grenzen zu setzen.
Das bedeutet natürlich nicht, jetzt plötzlich rücksichtslos durchs Leben zu trampeln. Einfühlungsvermögen, Kompromisse, sich mit anderen auf Augenhöhe zu begegnen – all das bleibt wichtig. Der entscheidende Unterschied ist nur, dass wir nicht mehr in vorauseilendem Gehorsam aufgeben, was uns selbst wichtig ist. Wir zeigen uns mit Ecken und Kanten, auch wenn das für manche unbequem sein mag. Und ja, es wird wahrscheinlich auch Phasen geben, in denen sich gewisse Beziehungen verändern oder sogar auseinanderbrechen, wenn wir nicht mehr die angepasste Rolle spielen. Aber nur so kann echte Tiefe entstehen. Nur so können wir Beziehungen eingehen, in denen wir nicht ständig auf Zehenspitzen herumschleichen.
Letztlich geht es darum, unsere eigene innere Sicherheit zu erobern. Anstatt permanent um Erlaubnis und Anerkennung von außen zu betteln, lernen wir, uns selbst mit all unseren Facetten anzunehmen. Dann müssen wir nicht mehr dauernd um jeden Preis gefallen, sondern können aufrichtig und eigenständig unser Leben gestalten. Das fühlt sich am Anfang fremd an, beinahe wie ein kleiner innerer Aufstand, weil wir so lange an dem alten Muster festgehalten haben. Aber genau darin steckt Wachstum: wenn wir uns von der panischen Angst vor Ablehnung lösen und dafür die Freiheit gewinnen, so zu sein, wie wir wirklich sind. Und genau da beginnt echte, lebendige Verbindung – zu uns selbst und zu anderen.