Eine der längsten und umfassendsten Langzeitstudien zur emotionalen Unterstützung bei Männern wirft ein aufschlussreiches Licht auf eine kaum beachtete Dynamik im sozialen Leben: Über den Zeitraum von 60 Jahren halbiert sich das emotionale Unterstützungsnetzwerk von Männern. Diese Erkenntnis stammt aus der kürzlich veröffentlichten Studie „Emotional support across adulthood: A 60-year study of men’s social networks“ von der Stanford University, die im Fachjournal Psychology and Aging veröffentlicht wurde. Mit der beispiellosen Langzeitperspektive deckt die Untersuchung nicht nur den schrittweisen Rückzug sozialer Kontakte auf, sondern liefert auch wertvolle Hinweise auf die Ursachen und die lebenslange Bedeutung emotionaler Verbindungen.
Petrovas Studie basiert auf einem Datensatz von 235 Männern, die zwischen 1939 und 1942 als Harvard-Studenten rekrutiert wurden. Über sieben Jahrzehnte hinweg dokumentierte das Forschungsteam, wie sich ihre emotionalen Unterstützungsnetzwerke entwickelten. Bei jedem der sieben Erhebungszeitpunkte – von 1951 bis 2010 – wurden die Teilnehmer gefragt: „An wen wenden Sie sich, wenn Sie Trost oder Rat brauchen?“ Diese offenen Fragen ermöglichten es, präzise die Anzahl und Art der emotionalen Bezugspersonen zu erfassen.
Interessanterweise umfasste das Konzept emotionaler Unterstützung keine generellen sozialen Kontakte, sondern gezielt die engen Bindungen, die Trost und Verständnis boten. Aus den Antworten der Teilnehmer wurden dann die tatsächlichen Unterstützungsquellen berechnet. Erstaunlicherweise zeigte sich, dass die Zahl dieser Quellen über die Lebensspanne drastisch sank: Von durchschnittlich zwei Bezugspersonen im Alter von 30 Jahren blieb bis zum 90. Lebensjahr nur noch eine übrig. Diese Verringerung um 50 Prozent ist mehr als nur eine statistische Besonderheit – sie spiegelt eine tiefgreifende Veränderung in der Art und Weise wider, wie Männer im Verlauf ihres Lebens emotionale Bindungen aufrechterhalten.
Die Studie verdeutlicht, dass Männer mit zunehmendem Alter dazu tendieren, sich stärker auf eine einzige Bezugsperson zu konzentrieren, häufig auf ihre Ehepartnerin. Dieses Phänomen wird unter anderem durch die Sozioemotionale Selektivitätstheorie erklärt, die besagt, dass ältere Erwachsene ihre sozialen Kontakte bewusster auswählen und sich auf qualitativ hochwertige Beziehungen konzentrieren. In der Praxis bedeutet dies, dass Männer dazu neigen, ihre emotionale Energie in weniger, dafür engere Verbindungen zu investieren. Eine Ehe kann zum zentralen Stützpfeiler werden, jedoch auf Kosten eines breiteren Netzwerks.
Ein weiterer Schlüssel liegt in den frühen Lebensbedingungen. Die Studie zeigte, dass Männer, die in emotional warmen Familien aufwuchsen, größere Netzwerke aufrechterhalten konnten. Diese frühe familiäre Unterstützung scheint eine Art emotionale Grundausstattung zu schaffen, die sich über Jahrzehnte hinweg auswirkt. Eltern, die ihren Kindern emotionale Geborgenheit und Verständnis vermittelten, legten den Grundstein für stabile und langfristige Beziehungen. In der Studie zeigte sich, dass diese Männer auch im hohen Alter mehr Menschen hatten, auf die sie sich verlassen konnten. Interessanterweise hatten andere Faktoren wie das Einkommen oder die Bildung der Eltern keinen vergleichbaren Einfluss. Die Qualität der frühkindlichen Beziehungen scheint demnach wichtiger zu sein als der sozioökonomische Hintergrund.
Neben der familiären Prägung beleuchtet die Studie auch andere Übergänge im Lebenslauf. Ehen beispielsweise wirkten sich konsolidierend aus: Männer, die verheiratet waren, berichteten über kleinere emotionale Netzwerke, da sie sich oft ausschließlich auf ihre Ehepartnerin stützten. Hingegen schien der Übergang in den Ruhestand keinen nennenswerten Einfluss auf die Anzahl der Bezugspersonen zu haben. Diese Beobachtung widerspricht der Annahme, dass der Eintritt in den Ruhestand neue soziale Möglichkeiten eröffnen könnte. Vielmehr bleibt das Unterstützungsnetzwerk konstant klein oder schrumpft sogar weiter.
Ein weiterer, indirekter Hinweis aus der Studie deutet darauf hin, dass gesellschaftliche und kulturelle Normen eine Rolle spielen könnten. Männer in der untersuchten Kohorte – einer Gruppe, die größtenteils aus weißen, hochgebildeten Amerikanern bestand – wurden in einer Zeit sozialisiert, in der emotionale Offenheit und enge Freundschaften zwischen Männern weniger gefördert wurden. Diese kulturellen Normen könnten dazu beitragen, dass sich die Netzwerke im Alter weniger stabilisieren und stärker ausdünnen.
Die Halbierung des Unterstützungsnetzwerks hat weitreichende Folgen. Emotionale Unterstützung ist kein Luxus, sondern ein essenzieller Faktor für körperliche und geistige Gesundheit. Zahlreiche Studien, darunter auch die hier besprochene, zeigen, dass Menschen mit stärkeren sozialen Bindungen länger leben, emotional stabiler sind und kognitive Vorteile haben. Wenn diese Bindungen jedoch schwinden, können Einsamkeit und Isolation zunehmen, was wiederum das Risiko für Depressionen, kognitive Abbauprozesse und andere gesundheitliche Probleme erhöht.
Die Ergebnisse der Studie rufen dazu auf, soziale Bindungen bewusst zu pflegen – und zwar nicht erst im Alter. Während frühkindliche Erfahrungen und Ehebeziehungen wichtig sind, liegt es auch an jedem Einzelnen, aktiv in Beziehungen zu investieren und nicht nur auf eine einzige Quelle der Unterstützung zu setzen. Das Wissen um die schrittweise Reduktion der emotionalen Netzwerke kann als Weckruf dienen, die Vielfalt und Stabilität dieser Netzwerke zu fördern.
Die Studie bietet eine wertvolle Grundlage für weitere Forschungen und Diskussionen. Obwohl ihre Ergebnisse durch die homogene Stichprobe und den Fokus auf Männer limitiert sind, gibt sie wichtige Impulse für die psychosoziale Begleitung älterer Menschen. Sie zeigt, wie bedeutend frühe familiäre Erfahrungen sind und wie stark lebenslange Entscheidungen – wie die Wahl des Partners oder die aktive Pflege von Freundschaften – unsere späteren Jahre beeinflussen.
Abschließend verdeutlicht die Untersuchung: Männer verlieren im Laufe ihres Lebens nicht nur einige Unterstützungsquellen, sondern oft auch den bewussten Umgang mit ihrer eigenen emotionalen Landschaft. Dies anzuerkennen und rechtzeitig gegenzusteuern, könnte nicht nur individuelle Schicksale verbessern, sondern auch das Verständnis von sozialen und emotionalen Bedürfnissen im Alter grundsätzlich verändern. In einer Welt, die immer älter wird, könnte der Schutz und die Förderung emotionaler Netzwerke der Schlüssel zu einem erfüllten Leben sein.
Quelle: Petrova, K., Nevarez, M. D., Waldinger, R. J., & Schulz, M. S. (2024). Emotional support across adulthood: A 60-year study of men’s social networks. Psychology and Aging, 39(8), 933–945. https://doi.org/10.1037/pag0000843
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