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August 1, 2024

Ich vertraue meinem Körper nicht - Was kann ich tun?

Relievr
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Intensive Stresssituationen hinterlassen nicht nur seelische, sondern auch tiefe körperliche Spuren. Viele Menschen, die in ihrer Vergangenheit sehr belastende Erfahrungen gemacht haben, entwickeln eine schwierige Beziehung zu ihrem Körper. Diese Beziehung ist oft geprägt von der Angst vor unkontrollierbaren körperlichen Reaktionen und einer tiefen Unsicherheit im Umgang mit dem eigenen Körper. In diesem Artikel fassen wir die wesentlichen Erkenntnisse zusammen, wie Betroffene lernen können, ihre körperlichen Reaktionen besser zu verstehen und mit ihnen umzugehen.

Warum wir unseren Körper als bedrohlich empfinden

Extrem belastende Erlebnisse führen dazu, dass unser Nervensystem in einen Überlebensmodus schaltet. In diesem Zustand wird eine enorme Menge Energie mobilisiert, um die Gefahr abzuwehren und zu überstehen. Wenn diese Energie jedoch nicht vollständig verarbeitet wird, bleibt sie im Körper gespeichert. Später kann sie in Form von Panikattacken, unkontrollierbaren körperlichen Reaktionen oder einem Gefühl der inneren Unruhe wieder auftauchen. Diese Symptome wirken oft bedrohlich und führen dazu, dass Betroffene das Gefühl haben, ihrem eigenen Körper nicht mehr trauen zu können.

Zwei Beispiele für unerwartete körperliche Reaktionen:

Nehmen wir Sarah als konkretes Beispiel, um zu veranschaulichen, wie intensive Stressreaktionen die Beziehung zum eigenen Körper erschweren können. Sarah hat sich auf eine wohltuende Massage gefreut, die sie gebucht hatte, um sich von den Anspannungen des Alltags zu erholen. Statt der ersehnten Entspannung erlebte sie jedoch plötzlich eine Panikattacke. Ihr Herz begann zu rasen, sie fühlte sich, als würde ihr die Luft wegbleiben, und ihr ganzer Körper war in Alarmbereitschaft, obwohl sie eigentlich nur ruhig auf der Massageliege lag. Diese unerwartete Reaktion schockierte sie und ließ sie an der Verlässlichkeit ihres eigenen Körpers zweifeln. Was als eine entspannende Auszeit geplant war, verwandelte sich in einen Moment der Angst und des Misstrauens gegenüber ihrem eigenen Körper.

Ein weiteres Beispiel zeigt sich, als Sarah mit ihren Freundinnen einen entspannten Kinoabend genießen möchte. Der Film beginnt, doch schon nach kurzer Zeit merkt sie, dass etwas nicht stimmt. Die schnellen Schnitte und die intensiven Bilder auf der großen Leinwand lösen in ihr ein starkes Unbehagen aus. Plötzlich überkommt sie die irrationale Angst, dass sie gleich einen epileptischen Anfall bekommen könnte – obwohl sie in ihrem Leben noch nie einen solchen Anfall hatte und medizinisch auch nichts darauf hinweist, dass sie gefährdet wäre. Trotzdem wächst in ihr das Misstrauen in die Funktionalität ihres eigenen Körpers. Sie beginnt, die Kontrolle zu verlieren, und das Kino, das eigentlich ein Ort der Entspannung und Freude sein sollte, wird zu einem Auslöser für tiefes Unbehagen.

Diese Beispiele verdeutlichen, wie belastende Erfahrungen und unerwartete körperliche Reaktionen die Beziehung zum eigenen Körper erheblich erschweren können. Für Sarah wird der Körper, der eigentlich als Quelle von Wohlbefinden und Sicherheit wahrgenommen werden sollte, zunehmend als unberechenbar und bedrohlich empfunden. Solche Erlebnisse können das Vertrauen in den eigenen Körper erschüttern und das Gefühl verstärken, dass der Körper nicht zuverlässig ist, was wiederum die Angst und Unsicherheit weiterverstärkt.

Die Rolle der Selbstregulation

Selbstregulation ist ein entscheidender Ansatz, um mit intensiven körperlichen und emotionalen Reaktionen besser umzugehen. Sie bezieht sich auf die Fähigkeit, die eigenen Reaktionen bewusst zu steuern und sich selbst in Momenten von Stress oder innerer Unruhe zu beruhigen. Dabei geht es nicht darum, diese Reaktionen zu unterdrücken, sondern sie zu verstehen und ihnen gezielt Raum zur Verarbeitung zu geben.

Unser Körper reagiert auf belastende Erlebnisse oft auf eine Weise, die außerhalb unserer bewussten Kontrolle liegt. Diese Reaktionen können sich in Form von schneller Atmung, Herzklopfen, Anspannung oder dem Gefühl innerer Aufgewühltheit zeigen. Solche Symptome werden häufig als bedrohlich empfunden, besonders wenn sie unerwartet und ohne ersichtlichen Grund auftreten. Das Gefühl, keine Kontrolle über den eigenen Körper zu haben, kann äußerst beunruhigend sein.

Hier setzt die Selbstregulation an: Sie ermöglicht es uns, eine neue Perspektive auf diese körperlichen Reaktionen zu entwickeln. Statt die Symptome als Feinde oder Anzeichen von Schwäche zu sehen, können wir sie als Signale unseres Körpers betrachten, die darauf hinweisen, dass er gerade auf Hochtouren arbeitet, um mit einer empfundenen Bedrohung umzugehen. Diese Bedrohung muss nicht real sein – sie kann auch aus Erinnerungen, unbewussten Mustern oder alten Prägungen stammen, die unser Nervensystem aktiviert.

Selbstregulation bedeutet, diese Signale wahrzunehmen, ohne sofort in Panik zu geraten. Es geht darum, den eigenen Körper zu beobachten, zu verstehen, was in ihm vorgeht, und dann gezielt Maßnahmen zu ergreifen, um den Stress abzubauen. Dabei kann es hilfreich sein, sich bewusst zu machen, dass diese Reaktionen eine Art Überlebensmechanismus sind – eine natürliche Reaktion des Körpers auf wahrgenommene Gefahren.

Erstreaktion vs. Zweitreaktion

Ein zentraler Aspekt der Selbstregulation ist die Schulung der sogenannten Erstreaktion und Zweitreaktion. Die Erstreaktion ist der unmittelbare, oft unbewusste Impuls, den unser Körper zeigt, wenn er mit einer belastenden Situation konfrontiert wird. Das kann ein schneller Herzschlag, eine flache Atmung oder ein plötzliches Gefühl der Panik sein. Diese Erstreaktion geschieht automatisch und ist nicht immer direkt kontrollierbar. Sie ist ein evolutionärer Mechanismus, der uns auf eine mögliche Gefahr aufmerksam macht.

Die Zweitreaktion hingegen ist das, was wir nach diesem ersten Impuls bewusst tun. Diese Reaktion können wir beeinflussen und trainieren. Wenn wir uns beispielsweise in einer stressigen Situation befinden und unsere Erstreaktion eine beschleunigte Atmung ist, können wir in der Zweitreaktion bewusst tief und langsam atmen, um unser Nervensystem zu beruhigen. Indem wir unsere Zweitreaktion schulen, lernen wir, auf den ersten Impuls unseres Körpers mit einer beruhigenden und stabilisierenden Handlung zu reagieren.

Durch diese Schulung der Erst- und Zweitreaktion können wir einen wichtigen Schritt in der Selbstregulation gehen. Es geht darum, die automatische Reaktion des Körpers nicht zu bekämpfen, sondern sie als Signal zuerkennen und darauf bewusst und konstruktiv zu reagieren. Mit der Zeit können wir so unsere Fähigkeit stärken, in stressigen Situationen ruhig zu bleiben und den Körper zu beruhigen, anstatt in eine Spirale aus Angst und Panik zugeraten.

Ein weiterer wichtiger Aspekt der Selbstregulation ist die innere Haltung. Es ist entscheidend, sich selbst mit Mitgefühl und Geduld zu begegnen. Wenn intensive körperliche Reaktionen auftreten, neigen wir oft dazu, uns selbst zu kritisieren oder uns für diese Reaktionen zu schämen. Doch in Wirklichkeit sind diese Reaktionen Ausdruck tiefer biologischer Prozesse, die darauf abzielen, unser Überleben zu sichern. Indem wir uns selbst in diesen Momenten Verständnis entgegenbringen und uns nicht verurteilen, schaffen wir eine innere Umgebung, die Heilung und Entspannung fördert.

Langfristig führt die Praxis der Selbstregulation zu einer besseren Beziehung zu unserem Körper. Wir lernen, die Symptome, die uns zunächst als bedrohlich erscheinen, anders zu betrachten – nicht als Anzeichen von Schwäche, sondern als Ausdruck unserer inneren Stärke und Überlebenskraft. Mit der Zeit und durch kontinuierliche Übung wird es möglich, diese Symptome zu entschärfen und die in unserem Körper gespeicherte Energie schrittweise abzubauen.

Durch die Praxis der Selbstregulation können wir nicht nur die Kontrolle über unsere körperlichen Reaktionen zurückgewinnen, sondern auch ein tieferes Vertrauen in unseren Körper entwickeln. Dies führt zu einer deutlichen Linderung der Symptome, einer besseren Lebensqualität und einer stärkeren, positiveren Beziehung zu uns selbst.

Der Einfluss von Prägungen auf unsere Reaktionen

Frühe Erfahrungen prägen, wie wir mit intensiven körperlichen und emotionalen Reaktionen umgehen. In vielen Fällen lernen Menschen bereits in ihrer Kindheit, ihre Emotionen zu unterdrücken, um in schwierigen Situationen oder Beziehungen zurecht zukommen. Diese Unterdrückung führt dazu, dass sich Stress und Anspannung im Körper ansammeln und nicht abgebaut werden können. Später im Leben kann dies dazu führen, dass der Körper auf bestimmte Reize übermäßig stark reagiert, was das Gefühl verstärkt, dass der eigene Körper unberechenbar ist.

Durch den bewussten Umgang mit diesen Prägungen und die Anwendung von Selbstregulation können wir jedoch lernen, diese intensiven Reaktionen zu entkoppeln und unseren Körper als einen verlässlichen Partner zusehen, der uns durch schwierige Zeiten trägt.

 

Fazit: Den eigenen Körper neu kennenlernen und unterstützen

Die Arbeit an sich selbst und die Auseinandersetzung mit den körperlichen Folgen belastender Erfahrungen ist ein intensiver Prozess, der Geduld erfordert. Doch die Belohnung ist groß: Ein tieferes Verständnis für den eigenen Körper, mehr Vertrauen in seine Reaktionen und letztlich ein Leben, das nicht mehr von unkontrollierbaren Angstzuständen bestimmt wird. Es ist wichtig, zwischen Erst- und Zweitreaktionen zu unterscheiden und vor allem vollautomatisierten, störenden Erstreaktionen konstruktive Zweitreaktionen gegenüberzustellen.

Betroffene sind eingeladen, sich selbst mit Sanftheit zu begegnen und Unterstützung zu suchen, um diesen Weg zur besseren Selbstregulation zu beschreiten. Durch die Arbeit an der eigenen Selbstregulation kann es gelingen, den Körper wieder als einen Verbündeten zusehen, der – trotz der schmerzhaften Vergangenheit – auf seine eigene Art und Weise ums Überleben kämpft und unterstützt.