Persönlichkeit
January 9, 2025

Die Kunst der Selbstregulation

Relievr
Blog
Frau öffnet das Fenster in einem gemütlichen Schlafzimmer, umgeben von Pflanzen und sanftem Tageslicht – Symbol für Achtsamkeit und Selbstfürsorge

Selbstregulation – die Fähigkeit, unsere emotionalen, mentalen und körperlichen Zustände bewusst zu steuern – ist ein Thema, das zunehmend im Fokus steht. Bücher, Podcasts und Social-Media-Posts sind voll von Anleitungen und Übungen zur Regulierung des Nervensystems. Doch oft bleibt das Wichtigste unerwähnt: Selbstregulation ist keine Fähigkeit, die allein durch Übungen erlernt wird. Sie ist tief in unseren frühkindlichen Erfahrungen verwurzelt und beruht auf Co-Regulation – der Fähigkeit, durch die Präsenz und Fürsorge anderer Menschen innere Balance zu finden. Wenn diese Erfahrungen in der Kindheit fehlen, wird die Fähigkeit zur Selbstregulation zu einer Aufgabe, die im Erwachsenenalter mühsam nachgeholt werden muss.

Hier beginnt das eigentliche Dilemma: Ohne die wärmende Nähe und Unterstützung, die Kinder von feinfühligen Bezugspersonen erfahren sollten, bleibt der innere Kompass oft unkalibriert. Die Folgen können vielfältig sein: innere Unruhe, lähmende Starre, das Gefühl, im eigenen Körper gefangen zu sein, oder ein ständiges Überlaufen von Emotionen, die keinen Ausweg finden. All diese Zustände zeugen von einem dysregulierten Nervensystem. Doch der Weg zurück zu einer stabilen Selbstregulation führt über mehr als nur wiederholte Übungen.

Erstens braucht es Wissen. Das Verstehen der Mechanismen, die unserem Nervensystem zugrunde liegen, ist wie das Erlernen einer neuen Sprache. Wenn wir erkennen, dass unser autonomes Nervensystem oft reflexartig reagiert, können wir unsere Selbsturteile mildern. Dieses Wissen eröffnet uns eine neue Perspektive – eine, die uns erlaubt, mit mehr Mitgefühl auf uns selbst zu blicken.

Zweitens ist die Verbindung zum Körper essenziell. Viele Menschen, die bspw. Traumafolgen tragen, erleben ihren Körper als unberechenbar oder feindselig. Dies führt häufig dazu, dass sie sich von ihren körperlichen Impulsen distanzieren – mit weitreichenden Folgen für ihre Gesundheit und ihr Wohlbefinden. Doch genau hier liegt der Schlüssel: Durch bewusste, achtsame Praktiken wie sanfte Bewegung, Massagen oder Yoga können wir lernen, unseren Körper wieder als Partner zu betrachten.

Drittens benötigen wir Bindungen zur Außenwelt. Verbindungen zu Menschen, Orten oder Tätigkeiten, die unser Nervensystem beruhigen, sind entscheidend. Diese Verbindungen aktivieren unser soziales Engagement-System, ein biologischer Mechanismus, der uns Stabilität und Sicherheit vermittelt.

Schließlich sind Ressourcen unverzichtbar. Kraftquellen – seien es unterstützende Menschen, angenehme Orte oder erfüllende Tätigkeiten – bilden den Proviant auf dem Weg der Selbstregulation. Sie helfen uns, in schwierigen Momenten die Balance zu halten.

Die Reise zur Selbstregulation ist komplex, aber sie birgt auch die Chance auf tiefe, nachhaltige Veränderung. Indem wir Wissen, Körperbewusstsein, Verbindungen und Ressourcen miteinander verweben, schaffen wir ein Fundament, das uns trägt – selbst in stürmischen Zeiten. Und vielleicht ist genau das der Kern: die Erkenntnis, dass Selbstregulation weit mehr ist als eine Technik – sie ist ein Ausdruck unserer Fähigkeit, uns selbst zu begegnen, in all unserer Verletzlichkeit und Stärke.