Gesellschaft
February 9, 2025

Das wird schon - Wenn ständiges Schönreden nur noch nervt

Relievr
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Schwarzes Schild am Straßenrand mit weißer Aufschrift „GOOD VIBES ONLY“ als Sinnbild für erzwungenen Daueroptimismus.
Text zuletzt aktualisiert am
10.2.2025
Geschätzte Lesezeit: ca.
6
min.

Wir alle kennen diese scheinbar gut gemeinten Sprüche: „Kopf hoch!“, „Das wird schon!“, „Denk positiv!“. Am Anfang mag das ja noch nett klingen, aber spätestens wenn wir in einer echten Krise stecken, fühlt sich dieses ständige „Alles ist super“ irgendwann nur noch hohl an. Fast so, als würde man sich die Ohren zuhalten und vor den eigenen Gefühlen davonlaufen. Und genau darum soll es hier gehen: Was passiert, wenn wir alle schwierigen Empfindungen einfach weglächeln wollen, und wie können wir besser damit umgehen, ohne uns selbst und andere mit leeren Durchhalteparolen abzuspeisen?

Warum übertriebenes Gute-Laune-Geschwätz frustrieren kann

Jeder Mensch sehnt sich natürlich nach Zuversicht und Erleichterung. Das ist völlig normal. Doch wenn man sich gerade mitten in einem heftigen Gefühlschaos befindet – egal ob Trauer, Wut, Enttäuschung oder Angst – dann ist es schlicht nicht hilfreich, wenn jemand uns mit Sätzen abspeist wie: „Hey, sei doch mal nicht so negativ.“ Wir haben dann das Gefühl, dass unser Schmerz nicht gesehen oder ernst genommen wird. Und genau das ist das Problem: Wenn wir ständig hören, wir sollten doch bitte alles positiv sehen, obwohl wir innerlich fast zerreißen, kann das dazu führen, dass wir uns zusätzlich schämen oder noch einsamer fühlen.

Wer leidet, braucht Verständnis und Raum für echte Gefühle

In solchen Krisen ist es viel hilfreicher, wenn wir uns ehrlich fragen, was uns eigentlich so belastet. Häufig liegen hinter unseren Gefühlen Erfahrungen, die wehtun, vielleicht sogar alte Wunden, die nie richtig heilen konnten. Wenn wir uns hier selbst mit Sätzen wie „Reiß dich doch endlich zusammen!“ überfordern, dann könnte das sogar dazu führen, dass unser inneres Alarmsystem erst recht verrücktspielt. Wir unterschätzen oft, wie wichtig es für Körper und Seele ist, Angst, Traurigkeit oder Wut einfach mal wahrzunehmen und zu akzeptieren, statt sie mit Schönrederei zu überdecken.

Daueroptimismus kann sogar Ängste verstärken

Gerade wenn jemand in seinem Leben wirklich schon schlimme Dinge erlebt hat, reagiert das Nervensystem oft besonders empfindlich auf falsches Zureden. Man kann sich das so vorstellen: Im Inneren ist immer noch Alarm angesagt, und wenn dann ein lieber Mensch von außen sagt: „Ach, jetzt denk doch mal positiv!“, kommt das beim Betroffenen an wie: „Stell dich nicht so an, du übertreibst!“ Die Folge: Das innere Gefühl von Unsicherheit oder Bedrohung wird eher größer, weil wir uns nicht wirklich gehört fühlen.

Manche Menschen sind sogar so gut trainiert im Verdrängen, dass sie nach außen hin wahnsinnig souverän und fröhlich wirken, während sie innen total fertig sind. Irgendwann ist die Diskrepanz zwischen äußerem Dauerlächeln und innerem Chaos so groß, dass es richtig brenzlig wird: Körperliche und psychische Symptome können sich dann häufen, weil die Seele permanent auf Abwehr schaltet.

Echte Zuversicht ist nicht dasselbe wie krampfhafte Fröhlichkeit

Das heißt übrigens nicht, dass wir alle jetzt den Kopf in den Sand stecken und nur noch jammern sollen. Es geht vielmehr darum, zu differenzieren: Handelt es sich um eine gesunde Form von Hoffnung und Zuversicht, bei der wir die dunklen Seiten anerkennen und trotzdem versuchen, Schritt für Schritt ins Licht zu gehen? Oder sind wir in einer Art erzwungenem Glücksrausch gefangen, der uns und anderen gar nicht erlaubt, mal eine schlechte Phase zuzulassen?

Wer sich in einer schweren Zeit befindet, braucht neben Trost und Mitgefühl oftmals einfach das Gefühl, dass er oder sie mit den dunklen Emotionen okay ist. Kein „Du bist zu negativ!“, sondern eher „Erzähl doch mal, was genau tut dir gerade so weh?“. In diesem Raum kann man dann langsam eine Perspektive aufbauen, die ehrlich ist. So entsteht Hoffnung, die nicht auf Verdrängung, sondern auf Realitätssinn basiert.

Was uns wirklich weiterhilft

Statt uns selbst oder andere mit „Ist doch alles gar nicht so schlimm“ zu überrennen, sollten wir besser fragen: „Wie geht es dir wirklich, und was brauchst du?“ Vielleicht brauchen wir einfach jemanden, der zuhört, oder wir möchten uns professionelle Hilfe suchen, weil alte Verletzungen hochkommen. Auch kleine Übungen zur Achtsamkeit können unterstützend wirken – zum Beispiel jeden Tag ein paar Minuten bewusst atmen, spüren, wo die Anspannung sitzt, und dann sanft versuchen, den Druck loszulassen. Das klingt simpel, kann aber enorm dabei helfen, Schritt für Schritt aus dem inneren Alarmzustand herauszukommen.

Wenn wir es schaffen, uns unsere echten Gefühle zu erlauben und uns dabei liebevoll zu begegnen, entsteht eine tiefere Art von Gelassenheit. Dann wird das Leben nicht plötzlich rosarot, aber wir spüren, dass wir auch in schwierigen Momenten okay sind, so wie wir gerade sind. Und das gibt uns langfristig viel mehr Kraft, als jedes verzweifelte Dauergrinsen oder halbgare „Kopf hoch!“.

Ehrlichkeit ist der Schlüssel

Übertriebene Gute-Laune-Sätze sind meist gut gemeint, können uns aber gehörig die Laune verderben, wenn sie immer nur leugnen, wie es uns in Wahrheit geht. Ein liebevolles, ehrliches „Ich sehe, dass du leidest, und ich bin da“ bringt oft mehr Heilung als tausend aufmunternde Phrasen. Genauso, wenn wir mit uns selbst so reden: anstatt „Jetzt lach doch mal!“, lieber „Okay, gerade ist es echt schwer, aber ich bin für mich da und schaue, was ich jetzt wirklich brauche.“ So werden wir zu guten Verbündeten für uns selbst und geben uns die Chance, wirklich zu heilen, statt alles unter einem künstlichen Lächeln zu verstecken.