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Es beginnt mit Kleinigkeiten. Ein Lächeln, ein wohlwollender Blick, ein Hauch mehr Geduld. Dinge, die fast zu beiläufig wirken, um bewusst wahrgenommen zu werden – und doch reicht ihre Kraft tief in die Seele. Elterliche Bevorzugung ist eines dieser Themen, das wir lieber ignorieren würden, weil es nicht in das Bild der „idealen Familie“ passt. Aber die Realität? Sie sieht oft anders aus.
Studien zeigen: Eltern lieben ihre Kinder zwar aufrichtig, aber nicht unbedingt gleich. Und das ist keine moralische Anklage, sondern eine nüchterne Feststellung. Eltern sind keine Maschinen, sie sind Menschen mit Emotionen, Vorlieben und Schwächen. Genau das macht sie angreifbar für unbewusste Bevorzugungen. Und diese wiederum können erstaunlich prägende Auswirkungen haben – nicht nur auf das bevorzugte Kind, sondern auf die gesamte Familie.
Die Wissenschaft liefert spannende Erkenntnisse darüber, wie diese Bevorzugung entsteht. Jüngere Kinder, so zeigen zahlreiche Studien, werden oft behütet und mit größerer Nachsicht behandelt. Ältere Geschwister hingegen bekommen mehr Verantwortung übertragen – eine Dynamik, die in vielen Kulturen fast universell zu sein scheint. Und dann ist da noch das Geschlecht: Töchter erfahren häufiger emotionale Unterstützung, während Söhne für ihre Leistungen gelobt werden. Eine subtile, aber nachhaltige Differenzierung.
Doch die entscheidende Frage ist nicht, ob Bevorzugung existiert, sondern wie sie erlebt wird. Denn während Eltern oft glauben, ihre Kinder gleich zu behandeln, sieht das aus der Perspektive der Kinder oft ganz anders aus. Sie bemerken diese feinen Unterschiede. Sie spüren, wenn der Bruder schneller getröstet oder die Schwester häufiger gelobt wird. Das kann Eifersucht säen und zu einem Konkurrenzkampf führen, der sich bis ins Erwachsenenalter ziehen kann.
Aber es geht nicht nur um die Geschwister. Auch die bevorzugten Kinder zahlen einen Preis. Was auf den ersten Blick wie ein Vorteil wirkt – mehr Aufmerksamkeit, mehr Lob, mehr Zuneigung – kann schnell zur Belastung werden. Diese Kinder stehen oft unter einem stillen Erwartungsdruck: Die Eltern sehen sie als „das gute Kind“, das ihre Ideale und Hoffnungen widerspiegelt. Das mag kurzfristig schmeichelhaft sein, führt aber langfristig oft zu innerem Stress, Selbstzweifeln und einem Gefühl von Schuld gegenüber den weniger bevorzugten Geschwistern.
Doch wie kommt es eigentlich dazu? Psychologen sprechen hier von einer Mischung aus Persönlichkeit, situativen Faktoren und unbewussten Präferenzen. Eltern fühlen sich beispielsweise instinktiv zu einem Kind hingezogen, das ähnliche Interessen oder Charakterzüge teilt. Oder sie schenken einem Kind mehr Aufmerksamkeit, weil es gerade besondere Herausforderungen durchmacht. Und dann gibt es da noch die gesellschaftlichen und kulturellen Erwartungen, die oft unterschwellig mitspielen.
So unvermeidlich diese Dynamiken scheinen mögen, so gefährlich können sie sein, wenn sie unerkannt bleiben. Kinder, die sich dauerhaft weniger gesehen fühlen, entwickeln häufiger Probleme mit ihrem Selbstwert. Sie fragen sich: „Warum werde ich nicht so geliebt wie mein Bruder oder meine Schwester?“ Diese innere Leere kann sich in Form von Perfektionismus, Rebellion oder Rückzug zeigen. All das sind Mechanismen, um die unerfüllte Sehnsucht nach elterlicher Zuwendung zu kompensieren.
Hier liegt die größte Verantwortung bei den Eltern. Denn auch wenn es unmöglich ist, Kinder absolut gleich zu behandeln, ist es sehr wohl möglich, sie fair zu behandeln. Und das beginnt mit einem einfachen, aber oft übersehenen Schritt: Reflexion. Eltern, die sich bewusst machen, welche Muster und Vorurteile in ihrem Verhalten stecken, können gezielt daran arbeiten, sie zu durchbrechen.
Es geht dabei nicht um Perfektion. Niemand erwartet von Eltern, dass sie zu unfehlbaren Wesen werden. Vielmehr geht es darum, ehrlich zu sich selbst zu sein und auch Fehler zuzugeben. Manchmal reicht schon eine bewusste Entscheidung, Zeit mit jedem Kind individuell zu verbringen, um eine Brücke zu bauen. Oder offene Gespräche, in denen Eltern signalisieren: „Ich höre dich, ich sehe dich, ich bin für dich da.“
Auch Geschwister können von solchen Gesprächen profitieren. Denn die meisten Konflikte entstehen nicht aus Bosheit, sondern aus Missverständnissen. Kinder, die lernen, die Perspektive ihrer Geschwister einzunehmen, entwickeln mehr Empathie – eine Fähigkeit, die sie ein Leben lang begleiten wird.
Am Ende zeigt uns das Phänomen der elterlichen Bevorzugung, wie zerbrechlich und gleichzeitig kraftvoll Familie sein kann. Es gibt keine perfekte Formel, um Harmonie zu schaffen, aber es gibt immer die Möglichkeit, es besser zu machen. Eltern, die ihre eigenen Muster hinterfragen und den Mut haben, Veränderungen anzugehen, können viel bewegen – für ihre Kinder und für sich selbst.
Vielleicht ist das die wichtigste Botschaft: Es ist nie zu spät, eine Familie neu zu denken. Denn Liebe ist nicht begrenzt. Sie lässt sich nicht in gleiche Portionen aufteilen, aber sie kann wachsen, wenn wir uns die Mühe machen, sie in all ihren Facetten zu verstehen.