Beruf & Karriere
January 31, 2025

Wenn gute Laune mehr bringt als Ehrlichkeit – warum Mitschwimmen im Konzern oft der clevere Move ist

Relievr
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 Eine lächelnde Person, die einen Daumen nach oben zeigt – symbolisiert positive Einstellung und Zustimmung, passend zum Thema beruflicher Anpassung und Positiv
Text zuletzt aktualisiert am
31.1.2025
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Veränderungen in großen Unternehmen können sich anfühlen, als zöge unvermittelt ein schweres Gewitter auf. Man spürt vielleicht schon seit Längerem ein leises Grummeln in der Ferne, doch wenn schließlich die offizielle Ankündigung kommt, trifft einen das Ausmaß meist mit voller Wucht. Für viele Menschen, die sich als kritisch und überdurchschnittlich denkend verstehen, entsteht dann das Gefühl, dass ihre eigene Kompetenz nicht wertgeschätzt wird: „Warum wird nicht meine Meinung eingeholt, wenn ich doch offensichtlich erkenne, dass dieser Kurswechsel riskant sein könnte?“ Doch genau hier verbirgt sich eine dynamische Kraft, die in Konzernen nach immer gleichem Muster abläuft. Denn in den seltensten Fällen werden weitreichende Pläne auf den unteren Ebenen geformt oder geändert; vielmehr rollen sie aus der Führungsetage ohne Umkehrmöglichkeit herab.

Dieser Prozess ist psychologisch hochspannend, weil er den Kern des menschlichen Bedürfnisses nach Selbstbestimmung und Einfluss berührt. Sobald eine richtungsweisende Entscheidung von oben verkündet wird, regt sich in uns das Verlangen nach intellektueller Ehrlichkeit: Wir möchten Probleme aufzeigen, Schwachstellen benennen und lieber unseren eigenen Verstand sprechen lassen, als kritiklos mitzuschwimmen. Doch genau hier prallt unsere persönliche Wahrheit auf die Konzernwirklichkeit. Große Firmen haben ein massives Momentum. Sie greifen auf teure Berater zurück, wägen monatelang Szenarien ab und treffen dann einen Beschluss, hinter dem sie einen überzeugenden Sinn sehen. In diesem Mächteverhältnis bleibt für individuelle Einwände oft nur wenig Raum.

Warum positives Auftreten höher geschätzt wird

Gerade in Phasen, in denen Umstrukturierungen oder Fusionen anstehen, beobachten Vorgesetzte und Personalabteilungen sehr genau, wer sich als „mitziehend“ und wer sich als „bremsend“ erweist. Das mag zunächst widersprüchlich erscheinen, wenn die Unternehmenswerte offiziell von Offenheit und einem regen Austausch leben. Tatsächlich gibt es in den meisten Firmen Kommunikationskanäle, die Feedback ermöglichen sollen, doch ein offener Widerstand gegen einen bereits beschlossenen Wechsel sorgt in der Praxis schnell für Unmut. Die Managementebene befindet sich dann nämlich in einer Situation, in der sie die vorgegebene Strategie möglichst reibungslos durchsetzen möchte. Widerworte oder Sorgenbremsen werden nicht unbedingt als wertvolle Zusatzperspektiven gesehen, sondern oft eher als störend.

Wenn sich jemand lautstark gegen die neue Marschrichtung stellt, kann dies im besten Fall zu zeitaufwendigen Diskussionen führen, im schlimmsten Fall aber die eigene Position im Unternehmen gefährden. Unbewusst oder bewusst entsteht der Eindruck, diese Person sei nicht teamfähig oder gar destruktiv. Psychologisch ist es nachvollziehbar, dass Unternehmen mehr Wert auf ein kollektives Voranschreiten legen, als auf das Ausdiskutieren unterschiedlicher Auffassungen. In einer idealen Welt würden Andersdenkende gehört und ihre Bedenken ernsthaft geprüft, doch in der Realität wird häufig befürchtet, dass zu viel Zeit mit internen Debatten vergeudet wird, während die Konkurrenz bereits das nächste Marktsegment erobert.

So erklärt sich, warum positives Auftreten – also Begeisterung für den neuen Plan, offenes Interesse an der Umsetzung und das demonstrative Mittragen von Entscheidungen – höher geschätzt wird als rückhaltlose Ehrlichkeit. Wer diese Dynamik nicht versteht und sich in eine Rolle des ständigen Widerspruchs begibt, ohne über echtes Mitspracherecht zu verfügen, manövriert sich schnell ins berufliche Abseits. Besonders bitter wird es, wenn in unruhigen Zeiten wie Fusionen, Zusammenlegungen oder Restrukturierungen Personal abgebaut wird. Dann geraten häufig jene ins Visier, die sich zuvor kritisch gezeigt haben, einfach weil das Management befürchtet, dass diese Personen im späteren Verlauf Probleme bereiten könnten. Die Bevorzugung positiver Einstellung spiegelt somit auch den Wunsch nach Stabilität wider.

Der Zwiespalt der klugen Köpfe

Gerade Menschen, die sich durch analytisches Denken und hohen Intellekt auszeichnen, erleben eine starke innere Spannung, sobald sie erkennen, dass eine Entscheidung ihres Erachtens nicht logisch ist oder zu erheblichen Risiken führen könnte. Sie wollen ihre Bedenken offenlegen – es entspricht ihrem naturgegebenen Drang, Unstimmigkeiten aufzudecken und konstruktive Kritik zu äußern. Doch die bittere Wahrheit ist, dass diese Impulse in einer Organisation oft verpuffen, wenn sie nicht auf Gehör in höheren Führungsebenen stoßen.

Der Zwiespalt dabei: Wer schweigt und mitzieht, fühlt sich womöglich moralisch unwohl, weil er seine ehrliche Meinung unterdrückt. Wer dagegen Klartext redet, muss damit rechnen, schnell als „Störenfried“ etikettiert zu werden. Dieser Balanceakt zwischen persönlicher Integrität und beruflicher Sicherheit gehört zu den tiefsten psychologischen Konflikten, die Angestellte in großen Firmen erleben. Es ist schwer zu akzeptieren, dass man nicht alle Hintergründe kennt und dass selbst sehr fundierte Einwände in einem komplexen Machtapparat untergehen können.

Oft empfehlen erfahrene Psychologen und Karrierementoren in solchen Situationen einen Weg, der auf den ersten Blick unzufriedenstellend wirken mag: gezielte Anpassung. Das bedeutet keinesfalls, die eigene Überzeugung komplett aufzugeben. Vielmehr geht es darum, zu erkennen, dass es Situationen gibt, in denen Kritik keinen Raum findet und wir unsere Energie besser dafür nutzen, konstruktiv zu agieren, statt uns in vergeblichen Widerständen zu verlieren. Schließlich kann man intern die Augen offenhalten, Chancen ergreifen, sich in neuen Projekten profilieren – und gegebenenfalls rechtzeitig den Absprung planen, wenn man die neuen Wege partout nicht mitgehen möchte.

Vernunft oder Verrat an sich selbst?

Es wirkt zuweilen zynisch, sich wie ein stiller Mitläufer zu verhalten, obwohl man weiß, dass es fundamental andere Möglichkeiten geben könnte. Doch solange man keine Position innehat, die echtes Mitspracherecht ermöglicht, bleibt dies oft der einzige kluge Schachzug. Anstatt verbittert zu sein, lohnt es sich, die Zeit zu nutzen, um die eigene Zukunft zu planen. Ob das bedeutet, innerhalb des Unternehmens neue Aufgabengebiete auszuloten oder sich außerhalb nach etwas Passenderem umzusehen, ist eine Frage der individuellen Situation und persönlichen Ziele. In jedem Fall stützt man sich dabei auf das ureigene Bedürfnis nach Handlungsmacht: Man entscheidet selbst, wie man reagiert.

Kommt es schließlich zu Entlassungen, werden diejenigen, die laut und vernehmlich an alten Strukturen festhielten, oft zuerst aussortiert. Die psychologische Logik dahinter: Wer sich gegen das firmenseitige Veränderungsnarrativ stellt, sendet das Signal aus, dass er oder sie auch künftig Querulantentum befeuern könnte. Dies ist kein moralisches Urteil, sondern eine nüchterne Betrachtungsweise dessen, wie in straffen Hierarchien vorgegangen wird. Anpassung kann hier zur Überlebensstrategie werden – nicht, weil sie moralisch besser wäre, sondern weil sie innerhalb des Systems belohnt wird.

Der Weg zu innerem Frieden und Selbstbestimmung

Wer sich inmitten solcher Veränderungen befindet und spürt, dass das eigene Gewissen rebelliert, sollte sich bewusst machen, dass es immer Alternativen gibt. Einerseits kann man den pragmatischen Weg wählen und die betriebliche Neuordnung mittragen, ohne dabei seinen langfristigen Wunsch nach Authentizität vollständig aufzugeben. Andererseits steht es jedem frei, Konsequenzen zu ziehen und sich nach einer Beschäftigung umzusehen, in der man mehr Mitsprache hat oder die man sogar selbst gestaltet. Kleine Unternehmen, Start-ups oder die Selbstständigkeit bieten manchmal genau jenen Raum, in dem man eigene Ideen freier einbringen kann.

Wichtig ist, die eigene Rolle nicht als Opferrolle zu begreifen. So verlockend es auch sein mag, sich über die Ungerechtigkeit des Systems aufzuregen – wer nur klagt, ohne aktiv zu handeln, raubt sich selbst die Möglichkeit, etwas an seiner Situation zu verändern. Manchmal genügt bereits die innere Distanzierung: Man erkennt, dass man in einem großen Konstrukt arbeitet, dessen Entscheidungen man nicht steuern kann, wählt jedoch bewusst, zumindest vorübergehend mitzuschwimmen, um den eigenen Spielraum zu vergrößern.

Das bewusste Ja oder das kluge Nein

Abschließend lässt sich sagen, dass Veränderungen in Unternehmen weder per se gut noch schlecht sind. Entscheidend ist, wie wir uns ihnen stellen. Wer feststellt, dass er die neue Richtung unterstützen kann, sollte sich ohne schlechtes Gewissen positiv zeigen und damit einen Beitrag leisten. Wer hingegen absolut nicht dahinterstehen kann, sollte aufrichtig die Konsequenzen für sich abwägen. Das kann auch den Schritt in eine andere Firma oder einen gänzlich neuen Lebensentwurf bedeuten.

Dieses Abwägen zwischen Mitziehen und Aussteigen ist im Grunde ein Akt der Selbstbestimmung, der mehr mit persönlicher Freiheit zu tun hat, als man zunächst denkt. Denn obwohl viele glauben, ihnen bliebe nichts anderes übrig, als sich zu fügen, liegt darin bereits die heimliche Falle: Wir haben immer eine Wahl, auch wenn keine davon perfekt erscheint. Inmitten der mächtigen Strukturen großer Konzerne bleibt es letztlich bei uns, wie wir auf Veränderungen reagieren – ob wir innerlich erstarren oder uns eigene Perspektiven eröffnen.

Die tiefe Einsicht besteht darin, dass es keinen Automatismus gibt, der uns zwingt, ins offene Messer zu laufen oder unsere persönliche Überzeugung vollständig zu opfern. Wenn wir verstehen, welche Dynamiken in Hierarchien herrschen und erkennen, dass Positivität oft mehr Gewicht hat als wahrhaftige Kritik, können wir klüger agieren. Ob wir das Spiel dann eine Weile mitspielen oder uns daraus zurückziehen, bleibt unsere ganz persönliche Entscheidung. Und darin liegt letztlich die wichtigste Botschaft: Man kann in einer unsicher erscheinenden Unternehmenswelt seinen inneren Kompass bewahren und zugleich die äußeren Spielregeln beachten – eine Kunst, die Menschen dann meisterhaft beherrschen, wenn sie wissen, welche Ziele sie wirklich verfolgen und was ihnen im Leben langfristig am Herzen liegt.