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August 20, 2024

Warum leiden so viele Menschen unter Angst und Depression? Eine evolutionäre Erklärung

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Die Zahl der Menschen, die an Depressionen und Angststörungen leiden, steigt weltweit an. Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind etwa 280 Millionen Menschen betroffen, und bis 2030 könnten Depressionen in wohlhabenden Ländern die häufigste Ursache für gesundheitliche Beeinträchtigungen sein. Doch warum kämpfen so viele Menschen mit ihrer psychischen Gesundheit? Ein wichtiger Aspekt, der oft übersehen wird, ist die evolutionäre Entwicklung unseres Gehirns und unserer psychischen Reaktionen.

Angst und Depression als Überlebensmechanismen

Über die längste Zeit der menschlichen Geschichte waren die Lebensbedingungen hart und gefährlich. Hunger, Infektionen und gewaltsame Auseinandersetzungen bedrohten das Leben unserer Vorfahren. In dieser Umgebung haben sich Mechanismen im Gehirn entwickelt, die uns halfen, mit diesen ständigen Gefahren umzugehen.

Angst war dabei ein wichtiger Schutzmechanismus. Sie sorgte dafür, dass unsere Vorfahren ständig auf der Hut waren, Gefahren schnell erkannten und sich schützen konnten. Auch Depressionen haben eine Funktion erfüllt: In gefährlichen oder unsicheren Situationen zogen sich Menschen zurück, um Energie zu sparen und Risiken zu vermeiden. Das, was wir heute als Angst und Depression bezeichnen, waren also ursprünglich Reaktionen, die das Überleben sicherten. Aus dieser Sicht ist es nicht überraschend, dass viele Menschen auch heute noch mit diesen Emotionen zu kämpfen haben – sie sind ein Teil unserer evolutionären Geschichte.

Wie unser moderner Lebensstil das Problem verstärkt

Im heutigen Alltag sieht die Welt jedoch anders aus. Wir leben nicht mehr in einer Umgebung voller unmittelbarer physischer Gefahren, dennoch reagieren unsere Gehirne auf Stress und Herausforderungen oft noch so, als wären wir in der Wildnis. Unser moderner Lebensstil – wenig Bewegung, Schlafmangel, dauerhafter Stress – führt dazu, dass unser Körper mit erhöhter Entzündungsreaktion antwortet. Das Gehirn interpretiert diese Entzündungen so, als wären wir krank, und reagiert mit einer gedrückten Stimmung, als müsste es Energie sparen, um eine Infektion zu bekämpfen. So kann ein anhaltender stressiger Lebensstil ähnliche Symptome wie eine Depression auslösen.

Aktuelle Forschungen zeigen, dass etwa ein Drittel aller Depressionen mit chronischen Entzündungen im Körper zusammenhängen, die durch unseren modernen Lebensstil gefördert werden (Bekhbat, 2018; Pitharouli et al., 2021). Unser Gehirn reagiert also auf diese Entzündungen so, als wäre eine Krankheit im Körper – obwohl es tatsächlich der Stress und die Überlastung unserer Lebensweise sind.

Bewegung als natürliche Unterstützung

Eine wirksame und oft unterschätzte Maßnahme gegen Depressionen und Angstzustände ist regelmäßige körperliche Bewegung. Studien zeigen, dass Sport nicht nur hilft, die Stimmung zu verbessern, sondern auch das Risiko einer erneuten Depression verringern kann (Noetel et al., 2024). Bewegung senkt den Stress, reduziert Entzündungen im Körper und wirkt langfristig positiv auf die Psyche. In vielen Fällen kann regelmäßige Bewegung ebenso effektiv wie Medikamente sein, um leichte bis mittelschwere Depressionen zu behandeln.

Depressionen und Angststörungen sind keine Zeichen von Schwäche. Sie sind tief in unserer evolutionären Vergangenheit verankerte Mechanismen, die uns früher geholfen haben, zu überleben. Doch in unserer modernen Welt können sie durch einen ungesunden Lebensstil fehlgeleitet und chronisch werden. Regelmäßige Bewegung, ausreichend Schlaf und der Abbau von Stress können dabei helfen, diese natürlichen Mechanismen wieder in Balance zu bringen und das Wohlbefinden zu verbessern.

Wer mit psychischen Herausforderungen wie Angst oder Depression kämpft, sollte wissen, dass es viele Möglichkeiten der Unterstützung gibt. Ob durch Bewegung, Therapie oder medikamentöse Behandlung – es gibt Wege, den eigenen Weg zu einem gesünderen und stabileren Leben zu finden.

Quellen

Bekhbat, M. (2018). Glucose and lipid-related biomarkers and the antidepressant response to infliximab in patients with treatment-resistant depression. Psychoneuroendocrinology, 98, 222–229. https://doi.org/10.1016/j.psyneuen.2018.08.012

Noetel, M., Smith, J., Dwan, K., Duncan, M., & Plotnikoff, R. (2024). Effect of exercise for depression: Systematic review and network meta-analysis of randomised controlled trials. BMJ, 384, e075847. https://doi.org/10.1136/bmj-2022-075847

Pitharouli, M. C., Hagenaars, S. P., Glanville, K. P., Coleman, J. R. I., Hotopf, M., Lewis, C. M., Breen, G., & Khandaker, G. M. (2021). Depressed patients have elevated C-reactive protein independently of genetic, health, and psychosocial factors in the UK Biobank. American Journal of Psychiatry, 178(7), 620–629. https://doi.org/10.1176/appi.ajp.2021.20071067